Vorgestellt: Der Fachpromotor für Ressourcen, Technik und Umwelt

Ferien im Bergwerk

Staub, Lebensgefahr und ein Hungerlohn: Das ist der Preis für viele Metalle in Handys, Elektrogeräten und Autos. Oscar Choque hat es in seiner Jugend als Bergmann in Bolivien selbst erlebt. Nun setzt er sich in Dresden für mehr Gerechtigkeit ein – auch wenn er bei der Wahl Ende Mai nicht abstimmen darf.

 

Der Tod, sagt Oscar Choque, war immer da in seiner Kindheit. Wenn er wieder einen Schulfreund auf die Beerdigung seines Vaters begleiten musste. Wenn das Bergwerk in den Bergen Boliviens wieder ein Leben verschlungen hatte bei einem Unfall oder durch den Staub, der die Lungen krank macht. Es war ein Opfer für den Zinn. Und es wird auch heute unzählige Male gebracht. Computer, Handys, Blechdosen, Autos und Baustreben brauchen viel Zinn. Und immer mehr.

Oscar Choque wägt in seinen Händen zwei unsichtbare Erzbrocken. Er kann noch heute Zinnmetalle im Gestein erkennen. Er braucht es nur ein bisschen wiegen, ein bisschen mit Wasser waschen. So hat er es als Schüler gelernt, wenn er in den Ferien in der Mine arbeitete. Manches Mal hielt er auch das Maßband beim Vermessen verlassener Stollen. Ohne Schutz. Wenn der 58-jährige Bolivianer heute in Dresdner Hochschulen als Dozent angehenden Ingenieuren den Blick für Menschenrechte bei der Gewinnung von Rohstoffen öffnen will, muss er nur aus seiner Jugend berichten. Er erzählt gut, mit weich wiegendem Akzent und leuchtenden Augen. Und auf einmal ist das große Thema globaler Gerechtigkeit ganz konkret. Und ganz nah.

Oscar Choque hat nicht gezählt, wie oft er in den Stollen seiner Mine eingefahren ist. Sein Vater war Bergmann, sein Bruder war Bergmann, er wurde es auch. Die Armut hatte die indigene Familie mit sieben Kindern zu den Minen getrieben. Ihr Volk ehrte Mutter Erde, die Tiere und Berge und Flüsse. Das Geld aber wohnte im Abbau der Erze. Der junge Oscar Choque begann als Hilfsarbeiter. Legte Schienen für die Hunte in den Stollen, schob die Wagen voller Erzbrocken hinaus und leer wieder hinein, hielt lärmende Bohrhämmer und Wasserschläuche. Überall Staub, Nässe und Schlamm. Und Dunkelheit.

Oscar Choques Eltern starben früh an Lungenkrankheiten. Und immer wieder gab es Unfälle im Stollen. Verletzte Beine und Hände galten als Bagatellen. Der Druck auf die Bergleute war groß, der Lohn niedrig. Nicht Wenige arbeiteten zu viel und tranken auch deshalb zu viel Alkohol. Und dann passierten die Fehler beim Sprengen, die Zündschnuren oft nur mit einer Zigarette angefacht. Oder wenn Bergleute verkantete Erzbrocken in einem Schacht lösen wollten und mit in die Tiefe stürzten. Krankenwagen gab es nicht, das nächste Hospital war weit entfernt. Das Zinn ging noch weiter weg, oft um die halbe Welt.

Der Markt diktiert die Preise. Und die Arbeitsbedingungen. 1986 brachen die Zinnpreise ein und fast alle Minen in Bolivien mussten ihre Bergarbeiter entlassen. Oscar Choque bekam ein Stipendium der Sowjetunion und begann, Forstindustrie zu studieren. »Viele Bergleute träumen von der Natur und haben eine Vorliebe für das Grüne«, sagt er.

Doch sechs Jahre später brach auch das Sowjet-Imperium zusammen und Oscar Choque musste erneut aufbrechen. Als Straßenmusiker und in einem Kleinbus zog er durch Österreich, die Schweiz bis nach Deutschland. In Dresden lernte er 1993 seine heutige Frau kennen, bekam mit ihr zwei Söhne, studierte Forstwissenschaft und blieb. In Schulen klärte er sächsische Jugendliche seitdem über die Zusammenhänge zwischen dem Konsum hier und den Lebensbedingungen in armen Ländern auf. Und seit zwei Jahren ist er für das von Bund und Land gemeinsam getragene Eine Welt-Promotor*innen-Programm als Experte für Wirtschaft und Menschenrechte an hiesigen Hochschulen unterwegs.

Doch bei der Europa- und Kommunalwahl Ende Mai darf er nicht mitentscheiden. »Ich würde gern wählen. Ich habe Kinder hier, Familie – die politischen Themen gehen mich etwas an«, sagt der in Bolivien geborene Dresdner. »Ich habe doch auch seit Jahren dazu beigetragen, dass diese Gesellschaft besser wird. Es ist ungerecht, dass man trotzdem keinen politischen Einfluss haben kann.« Doch in Deutschland wie in den meisten anderen Staaten der Welt hängt das Wahlrecht an einer Einbürgerung. Zu kompliziert war das Oscar Choque bisher, zu wenig hat ihm gefehlt. Jetzt hat er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt.

Wenn er wählen könnte, wäre seine größte Forderung an die europäische Politik klar: »Die EU muss die Ungerechtigkeiten in der Lieferkette vieler Produkte beenden und Kontrollen für die Einhaltung der Menschenrechte durchsetzen«, sagt Oscar Choque. »Es gibt etwa für Rohstoffe der Elektronik- und Autoindustrie keine festen Vorgaben.«

Und die wenigen Regeln, die es gibt, werden oft nicht eingehalten. So fordert die seit 2017 geltende EU-Verordnung für Konfliktmineralien wie Zinn von europäischen Firmen eine Garantie der Menschenrechte in der gesamten Lieferkette. Doch als Oscar Choque im vergangenen Dezember in seiner bolivianischen Heimat mit Bergleuten, Gewerkschaftern und Bürgermeistern danach fragte, blickte er in ratlose Gesichter. »Sie kannten sie in der Mine gar nicht. Niemand hatte sie nach der Einhaltung von Menschenrechten gefragt.« Sein früheres Bergwerk gehört mittlerweile fast zur Hälfte dem Schweizer Rohstoffkonzern Glencore.

Und ganz so einfach ist es auch nicht, die Welt von Europa aus zu verbessern. Auch das fiel Oscar Choque im bolivianischen Bergland auf. Zu harte Regeln könnten die vielen Kleinschürfer, die auf eigene Rechnung in den Stollen nach Erzen graben, aus dem Markt werfen. »Man muss da genau über gute Regeln nachdenken, so dass auch sie gute Arbeitsbedingungen und bessere Marktpreise bekommen«, sagt der Experte für Rohstoffe und Menschenrechte. »Deshalb plädiere ich sehr dafür, gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen zu suchen.« Sonst gibt es auch mit strengeren Regeln am Ende nur ein paar große Gewinner: die internationalen Konzerne.

Die haben das nächste große Ding schon fest im Blick. Und wieder soll der Rohstoff zu großen Teilen aus Bolivien kommen. Erst unlängst ging Oscar Choque durch die Montagekathedrale der Gläsernen VW-Manufaktur in Dresden, wo der elektrische Golf gebaut wird. Der Autokonzern setzt jetzt neuerdings ganz auf elektrische Mobilität. »Woher kommen die Rohstoffe für die Batterien?«, fragte Oscar Choque.

Er kennt die Antwort selbst: Einer der weltgrößten Lithium-Vorräte liegt versteckt unter einem Salzsee in seiner Heimat. Der soll nun abgebaut werden. »Doch damit sinkt das Grundwasser und Feuchtgebiete trocknen aus. Der Bergbau wird wieder gehen – aber die Lebensgrundlage der Menschen, die dort seit Generationen leben, ist bedroht.« Darüber will Oscar Choque jetzt mit Politikern, Ingenieuren und Wirtschaftsbossen reden. Damit die grüne E-Mobilität keine Lebenslüge der Reichen zu Lasten der Armen wird. Es wäre nur eine mehr.     Andreas Roth

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