German Institute of Development and Sustainability (IDOS): Ansage vom Finanzministerium

Ansage vom Finanzministerium

Klingebiel, Stephan

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), (Die aktuelle Kolumne vom 04.05.2023)

Bonn, 4. Mai 2023. Das Bundesfinanzministerium ist nicht gerade dafür bekannt, dass es sich über das Thema Entwicklungspolitik profiliert. Am Wochenende postete es jedoch folgende Nachricht auf Twitter: „Deutschland übernimmt international Verantwortung. 0,83% seines #BIP hat in 2022 für ODA-Leistungen verwendet und ist damit größter Geber der #G7. Eine weitere Verstärkung der öffentlichen Entwicklungsleistungen ist jedoch nicht möglich. #ODA“.

Dazu dann noch eine Graphik mit den Entwicklungsleistungen (ODA – Official Development Assistance), inklusive humanitärer Hilfe, der G7-Staaten im Verhältnis zur jeweiligen Wirtschaftskraft (BIP).

Interessant ist das Posting aus verschiedenen Gründen. Es vereinfacht und verzerrt die lobenswerten deutsche ODA-Leistungen, verknüpft sie aber mit einer politischen Ankündigung: mehr Geld wird es nicht geben!

Zunächst einmal ist Deutschland nicht der größte Geber in der G7 oder der OECD: dies sind weiterhin, in absoluten Zahlen, eindeutig die USA. Deutschland hat gleichwohl in den letzten Jahren seine Entwicklungsleistungen stark gesteigert. Tatsächlich lag die ODA-Quote mit 0,83 Prozent noch nie so hoch wie 2022. Dies ist beachtlich und anerkennenswert. Und da andere Länder mit teilweise tiefgreifenden populistischen und nationalistischen Trends zu tun haben, macht dies das deutsche Profil zusätzlich sichtbar. Beispiel Großbritannien: Das Land hat sich im Zuge seiner politischen Krise der letzten Jahre vom zweitgrößten Geber mit klarem entwicklungs- und außenpolitischen Gestaltungsanspruch zu einem diplomatischen Scheinriesen rückentwickelt.

Dem Finanzministerium ist sicherlich bewusst, dass von den deutschen ODA-Leistungen nur ein Teil aus dem Bundeshaushalt stammt und auch nur ein Teil für Entwicklungszusammenarbeit im engeren Sinne eingesetzt wird. Ein gewichtiger Teil sind entweder kalkulatorische Kosten (also keine echten Aufwendungen aus dem Haushalt) oder sogenannte Marktmittel. Drei Beispiele:

Leistungen für Flüchtlinge, die in Deutschland untergebracht werden, können unter bestimmten Kriterien als ODA gemeldet werden; d.h. diese Mittel stehen nicht für Entwicklungsmaßnahmen in Partnerländern zur Verfügung. Das allein machte 12,8 Prozent der deutschen ODA im vergangenen Jahr aus. International wird darüber gestritten, ob die Geberländer in der OECD nicht insgesamt ihre ODA-Leistungen mit den Flüchtlingsaufwendungen im eigenen Land künstlich „aufblähen“.

Ähnlich sieht es bei den Studienplatzkosten aus, die die Bundesländer für Studierende aus Entwicklungsländern als ODA melden können. Dies sind kalkulatorische Kosten, die zudem in der Finanzierung in Deutschland von den Bundesländern getragen werden. Im Jahr 2020 waren dies immerhin rund 6 Prozent der deutschen ODA.

Drittes Beispiel: Marktmittel, die die KfW mobilisiert und zu günstigen Konditionen als Förderkredite Partnerländern anbieten kann. Hier nutzt die Bundesregierung das Standing der KfW an den Finanzmärkten, um gute Konditionen für internationale Kooperationsvorhaben einzusetzen, ohne dass überhaupt Mittel aus dem Bundeshaushalt eingesetzt werden müssten. Für das letzte Jahr mit verfügbaren Daten (2020) waren das immerhin 5,9 Prozent der deutschen ODA.

Auch die Unterstützung der Ukraine wird auf absehbare Zeit ein enorm relevanter und vor allem neuer Faktor für das Profil und den Umfang von Entwicklungszusammenarbeit sein. Hier geht es um die Folgen der russischen Aggression in der Ukraine. Die OECD-Länder stellten bereits im vergangenen Jahr USD 16 Mrd. bzw. 7,8 Prozent ihrer ODA der Ukraine für zivile Zwecke zur Verfügung, beispielsweise für Makrofinanzhilfen. Bei der EU-ODA, und damit anteilig auch für Deutschland, waren 38,4 Prozent für die Ukraine bestimmt. Für Deutschlands bilaterale Entwicklungszusammenarbeit lag der Anteil bei 1,5 Prozent.

Schließlich besteht eine starke Überlappung zwischen den deutschen ODA-Leistungen und den Mitteln, die Deutschland für internationale Klimafinanzierung aufgrund internationaler Verpflichtungen bereitstellt. Olaf Scholz, wie schon zuvor Angela Merkel, gibt dem Zuwachs in diesem Bereich hohe Priorität. Im Jahr 2021 waren Haushaltsmittel in Höhe von insgesamt 5,3 Milliarden Euro für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zugesagt, die ganz überwiegend (über 85 Prozent) aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kamen.

Der 18 Monate alte Koalitionsvertrag hatte ambitionierte Ziele formuliert: eine ODA-Quote von mindestens 0,7 Prozent; zusätzlich ein Aufwuchs der Mittel für Klimafinanzierung; bessere ODA-Koordinierung auf Bundesebene und: „Die Ausgaben für Krisenprävention, Humanitäre Hilfe, AKBP (Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik; SK) und Entwicklungszusammenarbeit sollen, wie bisher, im Maßstab eins-zu-eins wie die Ausgaben für Verteidigung steigen auf Grundlage des Haushaltes 2021.“

Eine entwicklungspolitische Strategiedebatte vor dem Hintergrund der massiven globalen Veränderungen – Stichwort „Zeitenwende“ – wird in Deutschland bisher nur zaghaft geführt. Es gibt gute Gründe, über die deutsche ODA strategischer nachzudenken, um auf die internationalen Dynamiken einzugehen. Hier sind die russische Aggressionspolitik und die langfristigen Spannungen zwischen dem Westen und China von enormer Bedeutung. Was kann und sollte Deutschland entwicklungspolitisch anstreben, wie sollten die Leistungen koordiniert werden? Das Fachministerium, BMZ, spielt dabei eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle. Knapp die Hälfte der deutschen ODA stammt aus dem Budget des Ressorts. Vor allem das Auswärtige Amt ist mit der humanitären Hilfe ein weiterer wichtiger Mitspieler. Insofern ist eine ODA-Strategiedebatte nicht allein auf ein Ministerium beschränkt, sondern sollte von vornherein ressortübergreifend und mit einem klaren Blick auf die Zahlen geführt werden.  Eine solche Strategiedebatte sollte den transparenten Umgang mit den ODA-Zahlen einschließen, statt auf eine pauschale Deckelung der Leistungen zu setzen.